Roman Zieglgänsberger
Space. The Final Frontier…
– Einige Anmerkungen zu Markus Döhnes Raketen-Trieb-Werk –
aus: Katalog Black Atlas, Wiesbaden 2015
Der Weltraum. Unendliche Weiten… waren es noch, als die Supermächte USA und UdSSR mit ihren Raumpiloten Juri Gagarin und Neil Armstrong in den 1960er-Jahren das All – als Rivalen und doch in der Sache vereint – mit aller Macht erobern wollten. Und irgendwie haben sie es tatsächlich auch geschafft. Ihren Höhepunkt hatte diese, romantisch verklärt, durchaus als Sternenjagd zu bezeichnende Epoche am 21. Juli 1969. Es gibt kaum ein Ereignis, das in der westlichen Welt so sehr wahrgenommen wurde wie die erste bemannte Mondlandung. Wer damals am Fernseher dabei war – und das waren alle, die Zugang zu einem TV-Gerät hatten –, weiß heute mehr als 45 Jahre danach noch präzise, wo er diesen Tag verbracht hat und mit wem er dieses Ereignis gemeinsam ‚erlebt‘ hat. Kein anderes positives Ereignis hat sich grenzüberschreitend so ins Gedächtnis eingebrannt. Selbst Katastrophen wie Tschernobyl, Fukushima und der Tsunami im Indischen Ozean im Jahr 2004 oder der Tod von weltweit wahrgenommenen Legenden wie dem King of Pop Michael Jackson oder dem Papst Johannes Paul II. haben nicht diesen auf einen Punkt hin abzielenden ‚Gedächtnisanker‘. Allein vergleichbar ist der 11. September 2001, denn auch hier weiß wohl jeder, der das zweite Flugzeug in das World-Trade Center hat fliegen sehen, wo genau er zu diesem Zeitpunkt gewesen ist, als das Undenkbare geschah. Auch dreißig, ja fünfzig Jahre später werden sie es noch wissen. Das Exklusiv-Erstmalige sowie das Live-Erlebnis von einer existenziell belangreichen Begebenheit müssen zusammenkommen, um eine derartige Auswirkung auf die Menschheit zu haben. Das Geschehen in der Ferne wird mit dem eigenen Leben vor Ort verknüpft, sie werden auf immer eins. Das ist es, was schlicht passiert ist im Juli 1969 und leider auch im September 2001.
In Bezug auf die Eroberung des Weltraums ist heute alles anders. Wir können uns kaum an all die Namen erinnern, die im letzten Jahr ins All auf die Internationale Raumstation (ISS) geschossen wurden und natürlich – wie auf einem Linienflug – auch wieder unbeschadet (gottseidank) auf der Erde gelandet sind. Immer weniger staatlich scheinen die Weltraumprogramme über all die Jahre geworden zu sein, viele eigenverantwortlich arbeitende Firmen wie die Boeing, Orbital Science, Space X oder United Launch Alliance drängen nicht nur ins Weltraumgeschäft hinein, sondern beherrschen es bereits, wodurch das All in diesen Tagen eher vom Kapitalismus und weniger von uns, dem Menschen, endgültig erobert worden zu sein scheint. Der Gewinn der Aktionäre (und nicht die immer wieder hervorgehobene Neugierde der Firmenchefs) steht heimlich im Vordergrund, damit ist die Eroberung des ‚Welt‘-Raums kein die Masse berührendes Phänomen mehr, sondern zu einem Upper-class-Unterhaltungsprogramm geworden, das es bei Start und Landung gerade mal – wenn überhaupt – in die Nachrichten hinein schafft. Vollmundige Aussagen der Konzernchefs wie „Wir wollen Raketen künftig wie in der Massenfabrik bauen, wie am Fließband“ nehmen der geheimnisvollen dunklen Unendlichkeit den Atem, also ein Stück von ihrer Aura. Das All ist so normal wie langweilig geworden. The Final Frontier scheint genommen. Leider.
Aus heutiger Sicht kann man eigentlich die Weltraumfaszination und damit das ‚Trieb-Werk‘ von Markus Döhne kaum nachvollziehen, sich mit derlei alltäglich gewordenen Dingen zu beschäftigen. Denn jeder, der sich heutzutage künstlerisch mit dem Weltraum beschäftigt, hat den Grund, warum er dies tut, mitzuliefern.
Das weiß natürlich auch der Künstler und gibt eine Antwort darauf: seine Raketen-Bilder.
Die Grundlage dieser etwa dreißig Arbeiten umfassenden Werkgruppe ist – wie so häufig bei dem Künstler – historisches Bildmaterial, das diesmal aus den Pioniertagen der Raumfahrt stammt. Markus Döhne ver- und bearbeitet (ohne zu manipulieren) die von ihm in Archiven aufgespürten Fotografien derart, dass für uns die ‚Faszination Weltraum‘ auf ambivalente Art und Weise wieder neu entstehen kann. Mit seinen Werken, die hochgradig modern sind und doch auch traditionell wie (im besten Sinne!) gediegen wirken, führt er uns zurück an den Beginn der Raumfahrt. Er lässt uns nochmals teilhaben an dem atemberaubenden ‚Wettlauf zum Mond‘. Dabei sind die vielen Gegensätze in den Arbeiten bemerkenswert und vom Künstler durch und durch gewollt.
So befördern die Rockets, wie Döhne sie nennt, inhaltlich betrachtet, einerseits die jugendliche Freude, mit der man sogleich beim Gegenübertreten der ersten Raketenbilder gemeinsam mit dem Künstler in Gedanken das All erobert, und beschwören den Weltraum-Enthusiasmus vergangener Tage herauf, andererseits aber beschleicht uns gleichzeitig auch das ungute Gefühl des heute im Nachhinein nur allzu sichtbaren wahnsinnigen Wettrüstens zwischen Ost und West von damals. Raketen bleiben halt Raketen. Ihnen wurde die Maskerade vom Gesicht gerissen.
Ein weiterer, den Werken innewohnender Kontrast ist die Tatsache, dass die verwendeten Bildvorlagen durchwegs in sogenannten Massenmedien der 1950er- und 1960-Jahre (Büchern, Zeitschriften, Tagespresse) publiziert wurden und erst durch die Behandlung des Künstlers im 21. Jahrhundert zu wertvollen Einzelstücken geworden sind, die in der Technik zwischen Tafelbild, Relief und Druckgrafik changieren. Erst durch ihn scheinen die Raketen in absoluter Ruhe nebeneinander vor der Wand zu schweben und erstmals überhaupt wird man so der stillen Größe dieser lauten Ungetüme gewahr. Sie schillern, plustern sich pfauengleich mit viel Dampf auf und wirken dabei doch auch elegant und zurückhaltend. Betritt man den Raum tauchen sie urplötzlich vor uns auf, man ist sogleich der festen Überzeugung, ihrer habhaft zu sein, aber noch im selben Moment lösen sich ihre Konturen wieder vor uns auf und entziehen sich der endgültigen Vergewisserung. Hierzu passt, dass den Raketenbildern ähnlich den minderwertigen Bildvorlagen generell ein Moment der Vergänglichkeit innewohnt. Das verwendete Silber, auf dem der Künstler eigenhändig druckt, lässt diese durch den Oxidationsprozess – vergleichbar den Fotos in den Zeitungen – nach und nach ‚vergilben‘. Überdies findet die Rasterung des althergebrachten Zeitungsprints sein Äquivalent in den Punkten der Serigrafie. Und diese Technik ist es – neben der Thematik – genau genommen auch, mit der uns Markus Döhne ganz bewusst auf dem Pfad der Kunstgeschichte in die Zeit des Weltraum-Aufbruchs zurück schickt. Der Siebdruck – erfunden wohl im Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts – hatte seinen Höhepunkt im Bereich der bildenden Kunst nach dem zweiten Weltkrieg in der sogenannten Pop Art. Andy Warhol beispielsweise stilisierte mit dieser gerade in den 1960er-Jahren Marilyn Monroe und viele andere berühmte Persönlichkeiten zu Ikonen. Dabei nahm er in Kauf und wies in diesen Arbeiten – durchaus medienkritisch – darauf hin, dass der Betrachter, der mit diesen Gesichtsmasken nur deren variablen Oberflächen gezeigt bekommt und/oder wahrnehmen will, nichts, rein gar nichts über die dahinterstehende Person erfährt. So stehen auch wir bei Markus Döhne vor ikonischen Porträts der unterschiedlichsten Ost/West-Raketen, aber was es mit ihnen wirklich auf sich hatte, geben sie nicht preis.
Döhne nutzt nun den Siebdruck in Verbindung mit altmeisterlicher Perfektion und der Verwendung der Hauptcharakteristika von mittelalterlichen Heiligenbildern, etwa dem Holz als Bildträger, den Gründen aus Edelmetall sowie den ausgewogenen Proportionen seiner Tafeln, um im 21. Jahrhundert moderne, einzigartige Werke zu schaffen, die die Vergangenheit nicht nur neu aufleben lassen, sondern auch sinnlich erfahrbar machen und gleichzeitig den Menschen betreffende Zukunftsfragen zu stellen vermögen. Denn damals in den 1950er-Jahren war jeder Raketenstart einmalig, in unserer heutigen Erinnerung aber verschmilzt alles zu einem einzigen großen Weltraumstart und der fällt merkwürdigerweise – man fragt sich, wie dies geschehen konnte, wo doch so viele Zeugen all dies miterlebt haben – mit dem berühmten Flug der Apollo 11 zum Mond zusammen. Ein solches Ereignis überlagert schlicht alles vordem Dagewesene. Bei Markus Döhne wird nun jede Rakete, wie bereits oben erwähnt, wieder in den Rang einer Ikone erhoben. Zugleich zeigt er uns damit aber auch die Grenzen der uns selbst immer wieder betrügenden Erinnerung auf – ‚Grenzen der Erinnerung‘ sind es insbesondere deshalb, weil doch alles so sehr dokumentiert und für die Ewigkeit festgehalten zu sein schien.
All die Künstler, die sich in der Zeit mit der Raketen/Weltraum-Thematik auseinandersetzten, etwa Richard Hamilton, Adolf Luther, Otto Piene, Robert Rauschenberg, oder Gerhard Richter – taten dies, weil sie sich direkt involviert sahen und auf dieses höchst aktuelle Phänomen aus unterschiedlichen Intentionen reagieren wollten. Eine sofortige Reaktion ist ja keine Seltenheit, auch ein Max Beckmann hatte 1912 sogleich auf den Untergang der Titanic eine künstlerische Antwort gegeben. Markus Döhne thematisiert jedoch gerade die zwischen den Ereignissen und seinen Raketenbildern vergangene Zeit, indem er mit dem Blick zurück – stilistisch, inhaltlich, kunsthistorisch, aber auch, und das ist entscheidend: gesellschaftlich – die Erinnerung sowohl der Masse, als auch des Einzelnen daran zu befragen und abzuklopfen weiß.
Das Bild Rain führt uns dies sehr anschaulich vor Augen. Verwendet wurde eines der raren Fotos, das wohl das erste Public Viewing der Menschheitsgeschichte einfing. Im Zentrum von New York, genau genommen am Times Square auf Manhattan, wurde am 5. Mai 1961 der erste bemannte Flug eines amerikanischen Astronauten ins All live übertragen. Dass dies bei strömenden Regen geschah, wissen nur die wenigsten. Markus Döhne entschied sich interessanterweise dafür, unten die Menschenmenge großteils abzuschneiden, und legt damit den Focus wieder auf das Ereignis selbst. Aber war das Ereignis die Live-Übertragung auf Großbildleinwand oder die winzige Mercury-Redstone 3, die den Piloten ins All brachte? Beides war ja eine technische Meisterleistung, allerdings mit dem schmerzlichen Schönheitsfehler, dass die Sowjetunion der USA in letzterem der beiden Sensationen drei Wochen zuvor gekommen ist.
Die Erinnerung an das Ereignis scheint wie der Regen an der spiegelglatten violett-schwarzen Oberfläche des Bildes abzugleiten, und auch uns ist schon längst – trotz des so unbestechlich wirkenden Fotos – die Erinnerung daran entglitten. Wer nur war Alan Shepard, da es im allgemeinen Bewusstsein eigentlich nur einen Juri Gagarin und Neil Armstrong gibt? Es scheint sich zu bestätigen: Der erste zählt, sonst niemand. Und nach den erdrückenden Medienberichten und den überzeugenden Live-Übertragungen bleibt uns doch tatsächlich nichts anderes übrig, als zu glauben, dass diese beiden die Ersten waren, die in Gegenden vordrangen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat...
Matt Smith, zitiert nach: Kathrin Werner, „Ab ins All“, in: Süddeutsche Zeitung, 24./25.1.2015, S. 23.