Christel Wester
Döhnes Mondflug

aus: Katalog Black Atlas, Wiesbaden 2015

Am 16. Juli 1969 um 14:32 Uhr MEZ hob in Cape Kennedy die Rakete Saturn V vom Boden ab, die Neil A. Armstrong, Edwin E. Aldrin und Michael Collins zum Mond befördern sollte: Der Start von Apollo 11, den eine Million Menschen vor Ort verfolgten und der das Nachrichtenthema Nummer eins in allen Medien war. Damit begann aber nur der Countdown des bis dato größten Fernsehspektakels aller Zeiten, das vier Tage später über 500 Millionen Menschen weltweit vor Monitoren gebannt verfolgten. Unter ihnen: der achtjährige Markus Döhne.

Ich stelle mir vor, wie er am 20. Juli um 17 Uhr mit fiebrigen Augen, die nicht nur von seiner Masernerkrankung herrühren, seinen Beobachterposten auf dem Wohnzimmersofa bezieht. An diesem Nachmittag beginnt die Live-Übertragung der Apollo 11-Expedition im westdeutschen Fernsehen, die 28 Stunden lang dauern soll. Denn als Neil A. Armstrong in der Nacht zum 21. Juli um 3:54 Uhr MEZ seinen Fuß auf den Mond setzt, ist das nicht nur ein Riesenschritt für die Menschheit, wie es der Astronaut selbst vom Mond aus in alle Welt verkündet. Die Mondlandung ist auch ein regelrechtes Initiationsereignis der Mediengeschichte: Die erste überlange Live-Übertragung, die Möglichkeiten und Potenzial des Fernsehens deutlich machte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Fernsehen als globales Massenmedium durchgesetzt und für lange Zeit als Leitmedium etabliert. Die Bewegtbilder des Fernsehens sind es, die in starkem Maße das visuelle Gedächtnis und die Erinnerungen der Generationen prägen, die mit dem Medium aufgewachsen sind. Mit der Beschaffenheit solcher Erinnerungsbilder, die zum Erfahrungsreservoir unserer Gesellschaft gehören, beschäftigt sich Markus Döhne in seinem Werk. Er arbeitet mit Bildern, die in unseren Medien verbreitet werden, nicht nur im Fernsehen. Döhne findet sein Material in Zeitungen und Illustrierten, in Bibliotheken und digitalen Archiven. In seinem Fundus stößt man auch auf ein durchaus wissenschaftlich fundiertes Album aus den 1970er Jahren mit bunten Bildchen aus der Raumfahrt und technischen Zeichnungen zum Einkleben. Auch Comics wie Hergés Les aventures de Tintin oder Zdenӗk Milers Der Maulwurf und die Rakete befinden sich in der Sammlung des Künstlers.

In seiner Kindheit war das Fernsehen allerdings in besonderer Weise sein Leitmedium: Während häufiger Krankenhausaufenthalte kam die beste Zerstreuung aus dem Monitor, der gleichsam sein Nabel zur Welt war. Der stetige Bilderfluss hat er Markus Döhnes Auge geschult. Wobei man sich in Erinnerung rufen muss: Obwohl der Name Flimmerkiste, wie das Wohnzimmermöbel damals ebenso liebevoll wie verächtlich genannt wurde, Dauerberieselung suggeriert, so bot diese Kiste Ende der 1960er Jahre nur drei Programme und mehr als die Hälfte des Tages das sogenannte Testbild. Anders am 20. und 21. Juli 1969, da flimmerte die Kiste tatsächlich rund um die Uhr und lieferte dabei sogar Bilder von realen Ereignissen in Echtzeit. Doch besaß das Medium damals noch einen, gewissermaßen eingebauten, Verfremdungseffekt: Zwar gab es schon Farbfernseher, doch in den meisten Wohnzimmern liefen noch immer Schwarzweiß-Geräte. Und die Bilder von der Mondlandung waren darüber hinaus arg grobkörnig, schemenhaft, verzerrt. Markus Döhne glaubt sich sogar zu erinnern, dass die Aufnahmen im Fernsehen bei ihrer Live-Transmission vom Erdtrabanten zeitweise ausfielen und zwischendurch auch immer wieder vom Positiv ins Negativ wechselten, was den Achtjährigen ungemein faszinierte.

Die Ästhetik dieser Fernsehbilder scheint Markus Döhnes Raketenproduktion beeinflusst zu haben. Diese Werkreihe besteht aus einer Serie von über 30 Bildern in mehr oder weniger grobkörniger Schwarzweißrasterung, wobei die Größe der Raster divergiert. Die unterschiedlichen Raketentypen sind gut erkennbar, doch haben sie alle einen Grad an grafischer Abstraktion, der ihnen eine gewisse Schemenhaftigkeit verleiht. Dadurch beginnt man unwillkürlich vergleichend hin- und herzuschauen und versucht eine Typologie der silbrig glitzernden Raketen zu auszumachen. Dabei stellt man staunend fest: Die Bilder verändern sich permanent, je nachdem aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet. Schaut man von der Seite über die Bildoberfläche, so färbt sich das Silber leicht rötlich, wird golden. Je nach Lichteinfall hebt sich plötzlich ein silberner Pfeil von einem schwarzen Nachthimmel ab, dann wieder durchschneidet eine schwarze Rakete das silbern leuchtende Firmament. Andere Tafeln changieren in den unterschiedlichsten Grautönen, von steingrau über zartrosa und ocker bis graphit. Mal erscheint die Bildoberfläche matt, mal glänzt sie. Gleichzeitig gewinnen die Raketen eine ungemeine Plastizität, sie scheinen sich vom zweidimensionalen Grund abzulösen und förmlich in den Raum hinein zu schweben.

Um all diese Effekte voll zur Geltung zu bringen, hat Markus Döhne die Fenster des Ausstellungsraums von Lichtschutzvorrichtungen befreien lassen. Seine Raketen sollen in Dialog mit dem Tageslicht treten. Geht man im Raum umher, betört das Wechselspiel der Lichtreflexe auf dem Blattsilber ungemein, das auf die Holztafeln aufgebracht ist. Silber und Gold auf Holz: Markus Döhne setzt die klassischen Materialien der Ikonenmalerei ein und nutzt das Licht zu einer Inszenierung, wie man sie auch in Kirchenräumen antrifft. So verleiht er seinen Raketen gewissermaßen einen Heiligenschein. Sie werden zu Ikonen des Technikzeitalters, verehrt wie einst die Götter des Olymps: Atlas heißt in der griechischen Mythologie der Titan, auf dessen Schultern die Säulen ruhen, die – so sagt es Homer – Himmel und Erde auseinander halten. „Atlas“ nannten die Amerikaner eine Serie ihrer Raumfahrtträgerraketen. Seht her, lautet die Botschaft von Atlas, Saturn oder Mercury, einst herrschten die Götter über den Himmel, jetzt erobern wir Menschen das Weltall mit unseren Maschinen. In den Titeln seiner Arbeiten greift Markus Döhne nicht nur diese Botschaft ironisch auf. In seiner Typologie der Raumfahrtraketen befinden sich neben US-amerikanischen auch sowjetische Modelle, deren Namen nicht auf der antiken religiösen Mythologie basieren, sondern mit Soyus, Vostok oder Energija die Überlegenheit des neuen Gesellschaftsmodells in den Ländern der sowjetischen Einflusssphäre betonen: Union, Osten, Tatkraft. Markus Döhnes Werktitel verdeutlichen, wie beide Weltmächte sich in propagandistischer Weise positiv aufgeladener Vokabeln bedienten, um das jeweils eigene System gleichsam mythologisch aufzuladen. Denn natürlich erzählt diese Ausstellung vom Kampf der Supermächte um die Vormachtstellung im All, der in den 1960er Jahren im Wettlauf zum Mond seinen Höhepunkt fand.

So stößt man in der Ausstellung auch auf den Namen Pershing, der im kollektiven Gedächtnis untrennbar verbunden ist mit dem atomaren Wettrüsten im Kalten Krieg. Die Raumfahrt ist ein Spiegel des geopolitischen Machtkampfes zwischen UdSSR und USA, der sich auf die außerirdische Welt ausdehnte. In der Raumfahrt lag die Sowjetunion zunächst vorn: Am 4. Oktober 1957 erreichte ihr Satellit Sputnik I die Erdumlaufbahn und am 12. April 1961 umkreiste Juri Gagarin als erster Mensch die Erde. Kurz darauf verkündete John F. Kennedy in einer berühmt gewordenen Rede vor dem Kongress, dass die Vereinigten Staaten noch in diesem Jahrzehnt einen Menschen zum Mond bringen würden. Und dann wurden die 1960er Jahre zu einem Jahrzehnt der brutalen Konfrontation. Man kann den Wettlauf zum Mond als die zivile Seite des Stellvertreterkriegs  sehen, den die UdSSR und die USA außerhalb ihres Staatsgebiets in Vietnam ausfochten. Für Markus Döhne zählt der Vietnamkrieg zu den ersten politischen Weltnachrichten und Bildinformationen, die er in seiner Kindheit bewusst wahrnahm.

Die Teilung der Welt in zwei verfeindete Machtblöcke mit ihren konkurrierenden Ideologien, ihren Utopien und Verheißungen sowie ihren Machtkämpfen wird nicht zum ersten Mal zum Thema in Markus Döhnes künstlerischer Arbeit. Seine Auseinandersetzung mit der politischen Konstellation, die seine Generation prägte, setzt allerdings nicht erst mit dem Kalten Krieg ein, sondern beleuchtet auch die Vorgeschichte. Die europäische Linke in der ersten HäIfte des 20. Jahrhunderts ist ein Sujet, das sich durch sein Werk zieht. Dabei verwendet er immer historisches Fotomaterial, das er jedoch stark verfremdet und dekonstruiert. Letztlich generiert Döhne aus dem vorgefundenen Bildmaterial durch Kopieren, Ausschneiden und Vergrößern sowie Drucktechniken auf unterschiedlichen Trägern wie Wachs, Gaze, Metall oder Holz – wie bei den Arbeiten im Projektraum des Museums Wiesbaden – neue Bilder, die sich häufig am Rande der Abstraktion bewegen. Sinnzusammenhänge erschließen sich nicht immer auf den ersten Blick, zumal Döhne sich in der Regel nicht dezidiert auf politische Ereignisse bezieht. So gibt es in der Werkreihe seiner Paraffinblöcke aus den 1980er Jahren viele Arbeiten, die sich mit den Biografien von Künstlern der russischen Avantgarde beschäftigen. Hier hat er beispielsweise Fotoausschnitte von Kasimir Malewitschs Begräbnis in Wachs eingebracht. Seine zwischen 2000 und 2003 entstandene Werkreihe Arbeitsspeicher wiederum ist eine Hommage an den Schriftsteller, Maler und Filmemacher Peter Weiss und basiert auf einer Fotografie seines Archivschrankes in dessen Stockholmer Atelier. Aber in keinem der genannten Fälle lässt sich das Herkunftsmotiv in Döhnes Arbeiten wieder erkennen. Vielmehr handelt es sich um poetische Kompositionen grafischer Strukturen, die ein freies Spiel der Assoziationen ermöglichen. Dabei wird deutlich, wie man als Betrachter stetig bemüht ist, Bedeutungen zu entschlüsseln, Erklärungen zu finden.

Seit 2005 beschäftigt sich Markus Döhne vorrangig mit Medienbildern aus seiner Kindheit in den 1960er Jahren. Dazu gehören beispielsweise Arbeiten, die sich mit dem Buddhisten-Aufstand von 1963 in Südvietnam beschäftigen, ebenso alle Arbeiten aus dem Umfeld der Raumfahrt. Erstaunlich ist: Obwohl Markus Döhne immer historisches Material benutzt, gewinnen seine Werkreihen meistens kurz nach Fertigstellung eine eigenartige Aktualität. Narcotic Nirvana Nightmare heißt die Werkreihe, die 2005/06 auf der Basis von Pressefotos aus Vietnam entstand, die 1963 um die Welt gingen. Im Jahr 2007 schon konnte man diese Werkreihe als künstlerisch-politischen Kommentar zu den Demonstrationen der Mönche in Myanmar interpretieren. Und auch Markus Döhnes Raketen betrachtet man trotz der längst etablierten internationalen Kooperation in der Raumfahrt derzeit keineswegs als Relikte einer abgeschlossenen Epoche. Im Wiederaufleben des Ost-West-Gegensatzes infolge des Ukraine-Konfliktes gewinnt die seit 2011 entstehende Werkreihe eine neue, aktuelle Relevanz.

Man würde Markus Döhnes jüngster Werkreihe zum Thema Raumfahrt jedoch nicht gerecht, reduzierte man sie auf die politischen Konnotationen zum Kalten Krieg. Die Eroberung des Universums hat immer schon Künstler, Schriftsteller, Filmemacher, Wissenschaftler und Philosophen umgetrieben. Und nicht selten waren es Fantasiereisen, die den Startschuss lieferten für die Umwälzung von Weltbildern. Wie im Rausch schrieb beispielsweise der Mathematiker und Theologe, Philosoph und Poet Johannes Kepler 1609 die geheimnisvolle Traumerzählung einer Reise zum Mond, die er später mit astronomisch-mathematischen Anmerkungen versah. Diese Schrift war weit mehr als eine mutige Verteidigung des kopernikanischen Weltbildes. Aus Angst vor der Inquisition kleidete er seine neue Theorie der Planetenbewegung in eine märchenhaft humoristische Darstellung, doch hat er hier zum ersten Mal in der Geschichte der Astronomie eine allgemeine Theorie der Planetenbahnen entwickelt, die physikalisch begründet war.

Wissenschaftsgeschichte ebenso wie Kunstgeschichte – in all ihren Spielarten zwischen Fantasterei und Theorie, Gedankenspiel und echtem Experiment – schwingt als Faszinosum in Markus Döhnes Werkreihe immer mit. Nicht umsonst lässt man sich gern vom Silberglanz seiner Raketen betören und träumt beim Betrachten der grünen Apollo Poems im schwarzen All von außerterrestrischen Wesen. Aber nichts ist bei Markus Döhne ohne ironische Distanz zu haben, geradezu hinterlistig arbeitet er stets mit subtiler Doppelbödigkeit. So erfreut man sich an einem Fundstück aus einem Stall im Westerwald, das ebenfalls Eingang in die Museumshallen gefunden hat: eine Kalkkugel, die mit ihrer Maserung aussieht wie der richtige Mond mit seinen Kratern und seinem Geröll. Ein echtes Object trouvé, bei dem man sich vorstellen mag, dass es vom Himmel gefallen sei. Doch der Titel dieser Arbeit lautet: La Lluna és la consciència del món – Der Mond ist das Gewissen der Erde. Da schwingt sehr viel mehr mit als kindliche Spielfreude und Entdeckerlust. Auch mit diesem auf den ersten Blick so harmlosen Fundstück thematisiert Markus Döhne die Janusköpfigkeit der Raumfahrtgeschichte. Dieses Fundstück hat zudem ein Pendant in Döhnes Archiv, das zwar nicht in der Ausstellung zu sehen, aber im Katalog abgebildet ist: Ein faustgroßes Stück Schlacke von dem Gelände der Gedenkstätte des KZ-Buchenwald weist auf den mörderischen Anfang der Raumfahrttechnologie. Im Sommer 1943 verlagerten die Nationalsozialisten ihre Raketenproduktion in einen Stollen von Mittelbau-Dora, einer Außenstelle des KZ-Buchenwald. Hier verloren etwa 20.000 Häftlinge beim Bau der 'Vergeltungswaffe' V2 ihr Leben. Das war die erste Großrakete der Welt, die technologisch den Weg bahnte für den Flug zum Mond.

In seiner Ausstellung im Projektraum des Museums Wiesbaden hat Markus Döhne bewusst auf eindeutige Fingerzeige verzichtet. Doch erschrocken blickt man immer wieder auf den Affen, den der Künstler in seinen Museumsweltraum expediert und an die Stirnseite des Ausstellungsraums genagelt hat: Ein schwarzer Schatten mit ausgebreiteten Armen, den es zu zerreißen scheint auf zweigeteiltem feuerrotem Grund. Unklar bleibt, mit welcher Rakete er flog – oder ob er überhaupt flog.

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